Schon mal in einer wirklich klaren, dunklen Nacht nach oben geschaut und dieses Gefühl der absoluten Stille gespürt? Die Sterne funkeln, als hätte jemand Diamanten auf schwarzen Samt genagelt. Sie wirken ewig. Unveränderlich. Als Kind lag ich unzählige Male im Gras, starrte in diese unendliche Weite und war felsenfest davon überzeugt, dass der Große Wagen und der Orion für immer genau so aussehen würden. Irgendwie stimmt das ja auch.
Aber genau diese scheinbare Ruhe ist eine der größten Täuschungen, die uns das Universum bietet. In Wahrheit ist der Kosmos ein Ort unaufhörlicher, wilder Bewegung. Jeder einzelne dieser funkelnden Punkte befindet sich auf einer eigenen, epischen Reise durch unsere Galaxie. Und diese kaum wahrnehmbare, aber absolut reale Verschiebung nennen Astronomen die Eigenbewegung eines Sterns.
Dieses Wissen verändert alles. Es verwandelt den stillen Nachthimmel in ein dynamisches Ballett, dessen Choreografie sich über Zeiträume erstreckt, die unsere Vorstellungskraft sprengen.
Mehr aus Himmelsmechanik & Beobachtungskonzepte Kategorie
Transitmethode zur Exoplanetensuche
Unterschied Okkultation und Transit
Schlüsselerkenntnisse
- Die Eigenbewegung eines Sterns ist seine scheinbare Verschiebung an unserem Himmel, die durch seine reale Reise durch die Galaxie im Verhältnis zu uns entsteht.
- Diese Bewegung ist unglaublich langsam. Astronomen messen sie in Bogensekunden pro Jahr, einer winzigen Einheit, die für das bloße Auge völlig unsichtbar ist.
- Der englische Astronom Edmond Halley kam dem Phänomen bereits 1718 auf die Schliche, als er moderne Sternkarten mit denen antiker griechischer Astronomen verglich.
- Heutzutage vermisst der Gaia-Satellit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) die Eigenbewegung von über einer Milliarde Sternen mit unfassbarer Genauigkeit.
- Über Jahrtausende hinweg knetet und formt die Eigenbewegung die uns vertrauten Sternbilder langsam aber sicher in neue Gestalten um.
Bleiben die Sternbilder eigentlich für immer so, wie sie sind?
Ich kann mich noch genau an einen kühlen Herbstabend erinnern, ich war vielleicht acht. Mein Vater zeigte auf den Großen Wagen und meinte: „Siehst du den? Genauso sah er aus, als mein Großvater ein Junge war.“ Was für ein Gedanke. Eine direkte Verbindung durch die Zeit, verankert in den Sternen. Diese vermeintliche Beständigkeit gibt uns Halt, ein Gefühl von Sicherheit in einer Welt, die sich ständig wandelt.
Doch es ist eine Illusion. Die Sternbilder sind nichts weiter als eine zufällige Anordnung von Sternen aus unserem Blickwinkel. Eine kosmische Perspektive. Die Sterne, die für uns den Orion formen, sind in Wahrheit Hunderte von Lichtjahren voneinander entfernt. Sie haben keine echte Verbindung zueinander. Sie sind Nachbarn auf unserer Himmelskarte, nicht im realen Raum.
Und weil jeder dieser Sterne seinen eigenen Kurs und seine eigene Geschwindigkeit hat, ist dieses Arrangement nur eine Momentaufnahme. Stellen Sie es sich so vor, als würden Sie ein Foto von Autos auf einer weit entfernten, riesigen Autobahn machen. Für einen Moment bilden sie ein Muster. Eine Stunde später ist davon nichts mehr übrig. Genau das geschieht am Himmel, nur eben in kosmischer Zeitlupe. Der Motor dieser Veränderung ist die Eigenbewegung eines Sterns.
Aber bewegt sich der Himmel nicht sowieso jede Nacht?
Eine ausgezeichnete Frage, die oft für Verwirrung sorgt. Ja, wir sehen jede Nacht, wie die Sterne auf- und untergehen. Das ist aber nicht ihre Bewegung. Es ist unsere. Diese tägliche Prozession ist einzig und allein eine Folge der Drehung unseres eigenen Planeten um seine Achse. Wir drehen uns, und deshalb scheint sich der Himmel über uns zu bewegen.
Auch der Wechsel der Sternbilder mit den Jahreszeiten hat nichts mit den Sternen selbst zu tun. Das ist wieder unsere Schuld. Während die Erde ihre jährliche Reise um die Sonne macht, blicken wir aus unserem „Nachtfenster“ in immer andere Richtungen des Universums.
Die Eigenbewegung eines Sterns ist etwas völlig anderes. Sie ist die echte, individuelle Reise eines Sterns, der seine eigene Bahn um das Zentrum der Milchstraße zieht. Es ist die Bewegung, die übrig bleibt, wenn man die Effekte unserer eigenen planetarischen Bewegungen herausrechnet. Seine ganz persönliche Odyssee.
Wie schnell ist „schnell“, wenn wir über Eigenbewegung sprechen?
Normalerweise denken wir bei Geschwindigkeit an Kilometer pro Stunde. Im Weltraum sind die Zahlen schwindelerregend; Sterne rasen oft mit Zehntausenden von Kilometern pro Stunde durch die Galaxie. Aber weil die Entfernungen so unvorstellbar riesig sind, schrumpft diese Bewegung aus unserer Sicht zu fast nichts.
Aus diesem Grund messen Astronomen die Eigenbewegung nicht in Geschwindigkeit, sondern in einer winzigen Winkeländerung am Himmel. Die dafür verwendete Einheit ist die Bogensekunde pro Jahr. Was ist eine Bogensekunde? Stellen Sie sich einen Grad am Himmel vor, der etwa doppelt so breit ist wie der Vollmond. Teilen Sie diesen Grad in 60 Teile (Bogenminuten) und jeden davon nochmals in 60 Teile. Eines dieser 3600 kleinen Stücke ist eine Bogensekunde. Das ist so winzig, als würde man eine Euromünze aus fast fünf Kilometern Entfernung ansehen.
Der absolute Champion der Eigenbewegung ist Barnards Pfeilstern. Er schafft es auf etwa 10,3 Bogensekunden pro Jahr. Doch selbst dieser Rekordhalter braucht fast 180 Jahre, um eine Strecke zurückzulegen, die der Breite des Vollmondes entspricht. Die Bewegung der allermeisten anderen Sterne ist noch viel, viel geringer.
Wer hat das eigentlich als Allererster herausgefunden?
Die Entdeckung der Eigenbewegung war ein Paukenschlag in der Geschichte der Astronomie. Sie zertrümmerte die antike griechische Vorstellung von einer perfekten, unveränderlichen Sphäre aus Fixsternen, die seit Jahrtausenden Bestand hatte. Der Mann, der den Hammer schwang, war der berühmte englische Astronom Edmond Halley, den die meisten vom Halleyschen Kometen kennen.
1718 hatte Halley eine brillante Idee. Er nahm seine eigenen, sorgfältig gemessenen Sternpositionen und legte sie neben die Aufzeichnungen antiker griechischer Astronomen wie Hipparchos und Ptolemäus, die rund 1800 Jahre alt waren.
Er muss verblüfft gewesen sein. Einige der hellsten Sterne am Himmel – Sirius, Arktur, Aldebaran – waren nicht mehr exakt an ihrem alten Platz. Die Abweichungen waren gering, aber unmissverständlich. Halleys Schlussfolgerung war so simpel wie revolutionär: Die Sterne sind nicht fixiert. Sie bewegen sich. Dies war der erste handfeste Beweis für die Eigenbewegung eines Sterns. Plötzlich war das Universum kein starres Gebilde mehr, sondern ein dynamischer, sich entwickelnder Ort.
Was genau treibt die Eigenbewegung eines Sterns an?
Um das Bild zu vervollständigen, müssen wir uns die Bewegung eines Sterns im dreidimensionalen Raum ansehen. Man kann sie in zwei Teile zerlegen:
- Radialgeschwindigkeit: Das ist die Bewegung direkt auf uns zu oder von uns weg. Diese können wir nicht als seitliche Verschiebung sehen. Astronomen messen sie stattdessen mit dem Doppler-Effekt. So wie sich die Tonhöhe einer Krankenwagensirene ändert, je nachdem, ob sie sich nähert oder entfernt, so ändert sich auch die Farbe des Sternenlichts. Das Licht eines Sterns, der auf uns zukommt, wird ein winziges bisschen blauer (Blauverschiebung). Das Licht eines Sterns, der sich entfernt, wird ein wenig rötlicher (Rotverschiebung).
- Tangentialgeschwindigkeit: Dies ist die Bewegung quer zu unserer Sichtlinie – also die „Seitwärtsbewegung“ über den Himmel. Und genau diese seitliche Bewegung, projiziert auf unsere Himmelskugel, ist das, was wir als Eigenbewegung messen.
Die wahre 3D-Geschwindigkeit eines Sterns im Raum ist einfach die Kombination dieser beiden Komponenten. Mit Eigenbewegung und Doppler-Verschiebung können Astronomen also die komplette Flugbahn eines Sterns durch die Milchstraße rekonstruieren.
Kann ich diese Bewegung mit bloßem Auge sehen?
Nein. Absolut nicht. Jedenfalls nicht im Laufe eines Menschenlebens, nicht einmal über viele Generationen hinweg. Die Veränderungen sind einfach zu unbedeutend für unsere Wahrnehmung. Selbst bei Barnards Pfeilstern, dem schnellsten von allen, würde man ein ganzes Leben lang starren müssen, um eine Verschiebung zu bemerken, die kleiner ist als der kleinste sichtbare Krater auf dem Mond.
Unsere Sinne sind für diese kosmischen Zeitskalen nicht gemacht.
Könnten wir jedoch die Zeit um Zehntausende von Jahren vorspulen, wäre das Schauspiel atemberaubend. Die vertrauten Muster würden sich wie Tinte im Wasser auflösen. Sterne würden über den Himmel ziehen, ein kosmisches Billardspiel in Zeitlupe, und dabei ständig neue, flüchtige Muster bilden. Der Große Wagen, unser treuer Wegweiser, wird in 50.000 Jahren eher wie ein verbogener Angelhaken aussehen, weil sich seine Sterne in verschiedene Richtungen davonmachen.
Wie messen Astronomen diese winzigen Verschiebungen heute?
Früher war das eine Sisyphusarbeit. Astronomen mussten Fotoplatten desselben Himmelsausschnitts im Abstand von Jahrzehnten vergleichen und die winzigen Positionsänderungen der Sterne mühsam von Hand messen. Ein unglaublich langsamer und arbeitsintensiver Prozess.
Heute ist das völlig anders. Wir leben im goldenen Zeitalter der Astrometrie, der Kunst der Sternenvermessung. Der unangefochtene Champion dieser Disziplin ist der Gaia-Satellit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Man kann sich Gaia als ein ultrapräzises Auge im All vorstellen, das den Himmel unermüdlich immer wieder abscannt. Seine Mission: die Positionen, Entfernungen und Bewegungen von über einer Milliarde Sternen mit einer Genauigkeit zu kartieren, von der frühere Generationen nicht zu träumen wagten.
Ich erinnere mich an meine erste Nacht mit einem guten Teleskop, als ich versuchte, den Ringnebel zu finden. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Die schiere Größe des Himmels und die Winzigkeit des Objekts waren überwältigend. Gaia misst Positionen mit einer Präzision, die dem Messen der Breite eines menschlichen Haares aus 2.000 Kilometern Entfernung entspricht. Das erlaubt uns, die Eigenbewegung eines Sterns für unzählige Sterne zu bestimmen und eine dynamische 3D-Karte unserer galaktischen Heimat zu zeichnen. Mehr über diese unglaubliche Mission können Sie direkt bei der Europäischen Südsternwarte (ESO) nachlesen.
Warum ist diese ganze Messerei so wichtig?
Das Wissen um diese winzigen Verschiebungen ist weit mehr als nur eine nette astronomische Spielerei. Die Eigenbewegung ist ein entscheidender Schlüssel zum Verständnis unserer Galaxie.
- Die Struktur der Milchstraße: Indem wir die Bewegungen von Millionen Sternen verfolgen, können wir die Rotation unserer Galaxie kartieren, ihre Spiralenarme nachzeichnen und sogar „Sternströme“ aufspüren. Das sind die geisterhaften Überreste kleinerer Galaxien, die einst von der Milchstraße verschlungen wurden.
- Kosmische Entfernungen: Die Eigenbewegung ist ein wichtiges Werkzeug, um die Entfernungen zu den Sternen genauer zu bestimmen – eine der fundamentalsten, aber auch schwierigsten Aufgaben in der Astronomie.
- Verlorene Sternfamilien: Sterne entstehen oft in großen Gruppen, sogenannten Sternhaufen. Mit der Zeit lösen sich diese Haufen auf, aber ihre Mitglieder reisen weiterhin auf ähnlichen Bahnen durchs All. Die Suche nach Sternen mit einer gemeinsamen Eigenbewegung ist wie galaktische Ahnenforschung; sie hilft uns, diese verlorenen Geschwister wiederzufinden.
- Die Jagd nach Exoplaneten: Um die winzigen Schwingungen eines Sterns zu messen, die durch einen umkreisenden Planeten verursacht werden, müssen Astronomen zuerst die viel größere Eigenbewegung des Sterns kennen und präzise abziehen.
- Hinweise auf Dunkle Materie: Die Sterne in den Außenbezirken unserer Galaxie bewegen sich viel schneller, als sie es allein durch die Anziehungskraft der sichtbaren Materie tun dürften. Diese Diskrepanz ist einer der stärksten Beweise für die Existenz von Dunkler Materie.
Gibt es Sterne, die stillstehen?
Ja, scheinbar schon. Das erinnert uns daran, dass die Eigenbewegung nur die halbe Miete ist. Ein Stern kann aus zwei Gründen eine kaum messbare Eigenbewegung haben.
Erstens: Er bewegt sich fast perfekt auf uns zu oder von uns weg. Dann gibt es kaum eine seitliche Bewegung, die wir messen könnten. Zweitens, und das ist der häufigere Fall: Der Stern ist einfach unvorstellbar weit weg. Selbst eine irrsinnig hohe Geschwindigkeit im Raum führt aus großer Entfernung nur zu einer winzigen, nicht messbaren Winkeländerung. Weit entfernte Objekte wie Quasare sind so extrem weit weg, dass sie am Himmel praktisch unbeweglich sind und als Referenzpunkte dienen, an denen wir die Bewegungen der Sterne im Vordergrund messen.
Werden die Sternbilder also eines Tages verschwinden?
Ja. Die unausweichliche Antwort lautet: Ja. Die Sternbilder, die uns so vertraut sind, sind vergänglich. Sie sind eine Konstellation für unsere Zeit, nicht für die Ewigkeit. Auf der Zeitskala einer menschlichen Zivilisation mögen sie beständig wirken, doch auf der kosmischen Uhr sind sie nur ein Wimpernschlag.
Die Eigenbewegung eines Sterns ist der unaufhaltsame Motor dieser Auflösung.
Die Sterne des Großen Wagens bewegen sich in verschiedene Richtungen und werden das Muster in 100.000 Jahren unkenntlich machen. Eines fernen Tages wird der Himmelsjäger seinen berühmten Gürtel verlieren. Das Kreuz des Südens wird sich verzerren.
Diese Erkenntnis ist nicht deprimierend, sondern zutiefst beeindruckend. Sie zeigt uns, dass das Universum kein statisches Museum ist, sondern ein lebendiger, sich ständig verändernder Ort. Der Nachthimmel ist kein festes Gewölbe. Er ist ein Ozean, auf dem unzählige Sonnen auf ihren eigenen, unvorstellbar langen Reisen unterwegs sind.
Wenn Sie also das nächste Mal in die Sterne blicken, sehen Sie nicht nur Lichtpunkte. Sie sehen Sonnen, jede mit einer eigenen Geschichte, einem eigenen Ziel. Und Sie sind Zeuge einer winzigen Momentaufnahme ihres großen, verborgenen Tanzes. Die Sterne sind nicht einfach nur da.
Sie sind unterwegs.
Häufig gestellte Fragen – Eigenbewegung eines Sterns

Warum sehen wir nachts keine Bewegungen der Sterne?
Wir sehen nachts keine Bewegung der Sterne, weil die Eigenbewegung der Sterne für das menschliche Auge viel zu langsam ist; die Veränderungen sind nur mit präzisen Messinstrumenten über lange Zeiträume erkennbar.
Warum sind die Sternbilder nicht dauerhaft gleichbleibend?
Sternbilder verändern sich im Laufe der Zeit, weil die Sterne, die sie formen, sich individuell in unterschiedlichen Richtungen und Geschwindigkeiten bewegen, wodurch die Muster sich langsam verschieben.