Welche Geheimnisse Verbirgt Die Chromosphäre Der Sonne?

Die leuchtend rote Gasschicht am Sonnenrand die die Geheimnisse der Chromosphäre während einer Sonnenfinsternis enthüllt

Wenn wir an die Sonne denken, malen wir uns meist eine gleißend helle Kugel aus. Das ist die Photosphäre, die sichtbare Oberfläche, mit der wir alle vertraut sind. Doch direkt darüber schwebt eine Schicht, die so mysteriös und unlogisch ist, dass sie die Wissenschaft seit Jahrzehnten vor ein Rätsel stellt: die Chromosphäre. Man könnte sie als eine geisterhafte, hauchdünne Atmosphäre beschreiben, die vor Energie nur so knistert und einige der größten Fragen der Sonnenphysik aufwirft. Die wahren Geheimnisse der Chromosphäre stellen unser gesamtes Verständnis von Physik auf den Kopf und halten den Schlüssel bereit, um nicht nur unsere Sonne, sondern alle Sterne im Universum zu verstehen.

Diese Schicht ist ein Ort extremer Gegensätze.

Obwohl sie weiter vom glühenden Kern der Sonne entfernt ist, wird sie dramatisch heißer als die Oberfläche darunter. Sie ist ein chaotischer, brodelnder Ort, an dem unaufhörlich riesige Gasfontänen Tausende von Kilometern in den Weltraum schießen. Um diese verborgene Welt zu erblicken, braucht man Geduld und den perfekten Moment – die wenigen Sekunden einer totalen Sonnenfinsternis. Nur dann, wenn der Mond die blendende Photosphäre verdeckt, gibt er den Blick auf einen flammend roten Ring frei. Das ist die Chromosphäre, die „Farb-Sphäre“, und ihre Geschichte hat gerade erst begonnen.

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Schlüsselerkenntnisse

  • Das Temperatur-Rätsel: Eines der größten Geheimnisse ist, warum die Chromosphäre Tausende von Grad heißer ist als die Sonnenoberfläche direkt darunter. Das widerspricht der einfachen Logik, dass die Temperatur mit zunehmendem Abstand von einer Wärmequelle sinken sollte.
  • Die Macht der Magnetfelder: In der Chromosphäre beginnen die magnetischen Kräfte der Sonne, die Bewegung des Gases zu dominieren. Diese unsichtbaren Kräfte sind höchstwahrscheinlich der Schlüssel zur Lösung des Heizungsrätsels und formen die gesamte Struktur dieser Schicht.
  • Dynamische Spikulen: Unzählige, riesige Gas-Jets, sogenannte Spikulen, schießen aus der Chromosphäre empor. Es ist denkbar, dass diese kurzlebigen Strukturen eine entscheidende Rolle beim Transport von Energie und Materie in die noch heißere Korona spielen.
  • Eine Brücke zur Korona: Die Chromosphäre ist keine isolierte Schicht. Sie ist eine entscheidende Schnittstelle, die die Sonnenoberfläche mit der äußeren Atmosphäre, der Korona, verbindet. Was hier passiert, hat direkte Auswirkungen auf den Sonnenwind und das Weltraumwetter, das die Erde beeinflusst.

Was ist diese „Farbschicht“ und warum können wir sie kaum sehen?

Stell dir vor, du stehst vor einem riesigen Lagerfeuer. Gehst du näher ran, wird es heißer. Entfernst du dich, wird es kühler. Eine simple Erfahrung, die wir alle kennen. Die Sonne jedoch scheint sich nicht an diese Regel zu halten, und die Chromosphäre ist der Ort, an dem dieses Gesetz auf spektakuläre Weise gebrochen wird. Direkt über der etwa 5.500 Grad Celsius heißen Photosphäre liegt diese Schicht, die nur etwa 2.000 bis 3.000 Kilometer dick ist – ein Wimpernschlag im Vergleich zur gewaltigen Größe der Sonne.

Ihren Namen, „Farbschicht“, verdankt sie ihrem typisch rötlichen Leuchten. Dieses stammt von Wasserstoffatomen, die bei den dortigen Temperaturen eine ganz bestimmte rote Wellenlänge des Lichts aussenden. Dieses faszinierende Schauspiel bleibt uns aber fast immer verborgen. Warum? Weil die darunterliegende Photosphäre so unvorstellbar hell ist, dass sie das vergleichsweise schwache Licht der Chromosphäre einfach verschluckt. Es ist, als würde man eine Kerze direkt neben einem gleißenden Flutlicht anzünden wollen. Erst wenn der Mond bei einer totalen Sonnenfinsternis als kosmischer Schutzschild dient, wird das Licht der Photosphäre blockiert und der rubinrote Saum der Chromosphäre sichtbar.

Wie unterscheidet sie sich von der Sonnenoberfläche, die wir kennen?

Der Kontrast zwischen der Photosphäre und der Chromosphäre könnte größer nicht sein. Während die Photosphäre relativ dicht ist, zumindest für solare Verhältnisse, fällt die Dichte des Gases in der Chromosphäre dramatisch ab. Sie ist über hunderttausendmal dünner als die Luft, die wir hier auf der Erde atmen. Diese extreme Dünne ist ein Hauptgrund für ihr seltsames Verhalten.

Der wirklich verblüffende Unterschied ist jedoch die Temperatur. Anstatt abzukühlen, wie man es erwarten würde, explodiert die Temperatur von der Basis der Chromosphäre nach oben hin förmlich. Sie startet bei etwa 4.000 Grad Celsius am Übergang von der Photosphäre und schießt dann auf bis zu 20.000 Grad Celsius oder sogar mehr an ihrer Obergrenze zur Korona. Diese dünne, durchsichtige Schicht ist also ein Ort extremer Hitze, angetrieben von Kräften, die wir nur langsam zu verstehen beginnen. Sie ist kein ruhiger Ozean aus Gas, sondern ein dynamisches, chaotisches Schlachtfeld aus Plasma und Magnetkräften.

Warum ist die Chromosphäre so unglaublich viel heißer als die Sonnenoberfläche?

An diesem Punkt stoßen wir auf das Herzstück der Geheimnisse der Chromosphäre. Es ist das Paradoxon, das die Sonnenphysik seit fast einem Jahrhundert umtreibt. Wie kann eine Gasschicht, die weiter vom Energiezentrum der Sonne entfernt ist, so viel heißer sein als die Oberfläche direkt darunter? Die Energie muss von irgendwoher kommen, doch die Mechanismen, die diese gewaltige Kraft in die dünne Atmosphäre pumpen, sind alles andere als klar. Eine einfache Wärmeübertragung, wie bei einem Ofen, kann es nicht sein. Die Antwort muss tief in der komplexen Physik der Sonne selbst vergraben liegen.

Wissenschaftler sind sich heute ziemlich sicher, dass die Energie aus den turbulenten Bewegungen in der Konvektionszone unter der Photosphäre stammt. Dort kochen riesige Blasen heißen Gases nach oben, kühlen ab und sinken wieder nach unten. Dieser Prozess erzeugt Unmengen an mechanischer und magnetischer Energie. Die große Frage ist, wie diese Energie durch die dichte Photosphäre gelangt und dann in der hauchdünnen Chromosphäre freigesetzt wird, um sie zu erhitzen. Es ist, als würde man versuchen, ein ganzes Haus mit einer einzigen Kerze zu heizen, indem man ihre Flamme auf magische Weise verstärkt.

Könnten Magnetfelder die Antwort auf das Heizungsrätsel sein?

Die überzeugendste Theorie hat mit den allgegenwärtigen Magnetfeldern der Sonne zu tun. In der Chromosphäre verschiebt sich das Kräfteverhältnis. Während in der Photosphäre der Gasdruck das Sagen hat und das Plasma die Magnetfeldlinien mit sich reißt, übernehmen in der Chromosphäre die Magnetfelder die Kontrolle und schreiben dem Plasma vor, wie es sich zu bewegen hat. Man kann es sich wie einen „magnetischen Teppich“ vorstellen, gewebt aus unzähligen kleinen Schleifen und Bögen, die aus der Sonnenoberfläche ragen.

Diese Magnetfeldlinien sind niemals still. Sie werden von den Strömungen darunter verdreht, verdrillt und gespannt. Wenn sich zwei entgegengesetzt gepolte Feldlinien zu nahe kommen, können sie sich in einem explosiven Akt neu verbinden, den man „magnetische Rekonnexion“ nennt. Dabei wird die gespeicherte magnetische Energie schlagartig als Hitze und Bewegung freigesetzt. Viele kleine, ununterbrochene „Nanoflares“, angetrieben durch diese Rekonnexionen, könnten wie ein kosmisches Dauerfeuerwerk wirken, das die Chromosphäre permanent aufheizt.

Welche Rolle spielen Schallwellen bei dieser extremen Hitze?

Eine andere wichtige Idee, die wahrscheinlich Hand in Hand mit den magnetischen Prozessen geht, dreht sich um mechanische Wellen. Das kochende Plasma in der Konvektionszone erzeugt nicht nur Magnetfelder, sondern auch gewaltige Schallwellen, fast so wie die Vibrationen einer gigantischen Trommel. Diese Wellen pflanzen sich nach oben durch die Photosphäre fort. Erreichen sie die viel dünnere Chromosphäre, passiert etwas Dramatisches.

Weil das Gas hier so dünn ist, schaukeln sich die Wellen enorm auf und werden zu Schockwellen – ganz ähnlich dem Überschallknall eines Flugzeugs. Diese Schockwellen rasen durch die Chromosphäre und geben ihre Energie an das umgebende Plasma ab, wodurch sie es aufheizen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine Kombination aus beidem – die ständige Energieabgabe durch magnetische Rekonnexion und das Bombardement durch Schockwellen – für die extreme und unerwartete Hitze der Chromosphäre verantwortlich ist.

Was sind diese riesigen Gas-Jets, die ständig aus der Chromosphäre schießen?

Betrachtet man die Chromosphäre mit modernen Solarteleskopen, sieht man kein gleichmäßiges Leuchten. Stattdessen blickt man auf eine faszinierende und dynamische Landschaft, die an einen brennenden Wald erinnert. Die „Bäume“ in diesem Wald sind die Spikulen, gewaltige Fontänen aus Plasma, die unaufhörlich aus der Chromosphäre schießen. Sie gehören zu den auffälligsten und gleichzeitig rätselhaftesten Phänomenen der Sonne.

Diese feurigen Jets sind gigantisch. Mit Durchmessern von bis zu 500 Kilometern schießen sie mit über 70.000 Kilometern pro Stunde nach oben und erreichen Höhen von bis zu 10.000 Kilometern. Das ist fast so hoch wie der Durchmesser der Erde. Trotz ihrer enormen Größe leben sie nicht lange; die meisten existieren nur für fünf bis zehn Minuten, bevor sie wieder verschwinden oder in sich zusammenfallen. Zu jeder Zeit sind schätzungsweise Millionen dieser Spikulen auf der Sonnenoberfläche aktiv und geben der Chromosphäre ihr zackiges, unruhiges Aussehen. Sie sind kein seltenes Ereignis, sondern ein grundlegender Teil der solaren Atmosphäre.

Transportieren diese Spikulen Energie in die Korona?

Eine der heißesten Fragen ist, welche Rolle die Spikulen im Energiehaushalt der Sonne spielen. Sind sie hoch und heiß genug, um Materie und Energie in die darüber liegende Korona zu pumpen? Die Korona, mit über einer Million Grad Celsius, ist sogar noch extremer aufgeheizt als die Chromosphäre, und auch dieses Rätsel ist noch ungelöst. Viele Forscher stellen sich die Spikulen als eine Art Förderband vor.

Sie könnten heißes Plasma von unten nach oben tragen und so einen wichtigen Beitrag zur Masse und Energie der Korona leisten. Einige Spikulen scheinen heißer zu sein als ihre Umgebung, was darauf hindeutet, dass in ihnen selbst ein Heizmechanismus aktiv ist. Wenn sie tatsächlich diese Brücke bilden, wären sie ein entscheidendes Puzzleteil, um nicht nur die Erhitzung der Chromosphäre, sondern auch die der Korona zu knacken. Sie könnten sogar die Quelle des Sonnenwindes sein, jenes stetigen Teilchenstroms, der von der Sonne ausgeht und das gesamte Sonnensystem durchflutet.

Wie entstehen diese seltsamen Strukturen überhaupt?

Die genaue Geburt einer Spikule ist immer noch Gegenstand intensiver Forschung. Es gibt mehrere konkurrierende Ideen, aber fast alle rücken die Magnetfelder wieder ins Zentrum. Eine führende Theorie besagt, dass die Spikulen entlang von magnetischen Flussröhren nach oben katapultiert werden. Diese Röhren wirken wie Kanonen, die das Plasma bündeln und beschleunigen.

Die Energie für diesen „Abschuss“ könnte von den bereits erwähnten Schallwellen stammen, die sich zu Schockwellen entwickeln und das Plasma entlang der Magnetfeldlinien nach oben jagen. Eine andere Möglichkeit ist, dass sie durch kleinere magnetische Kurzschlüsse an der Basis der Chromosphäre ausgelöst werden. Die Wahrheit ist wahrscheinlich eine komplexe Mischung aus all dem. Den Lebenszyklus einer Spikule zu entschlüsseln – von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod – ist ein zentrales Ziel der modernen Sonnenbeobachtung. Es würde uns immense Einblicke in die Physik der gesamten Sonnenatmosphäre verschaffen.

Wie formt das Magnetfeld die gesamte Struktur der Chromosphäre?

Um die Chromosphäre zu verstehen, muss man sie als ein magnetisches Reich betrachten, nicht als eine simple Gasschicht. Während in der Photosphäre die turbulenten Gasbewegungen das Kommando haben, übernimmt in der Chromosphäre das Magnetfeld die Regie. Das dünne, elektrisch geladene Gas (Plasma) muss den Linien des Magnetfeldes folgen. Das Ergebnis: Die gesamte Struktur, die wir in der Chromosphäre sehen, ist ein direktes Spiegelbild der darunter liegenden magnetischen Architektur.

Wir sehen keine gleichmäßige Schicht, sondern ein komplexes Geflecht aus Bögen, Schleifen und Trichtern, die alle von unsichtbaren magnetischen Kräften geformt werden. Diese Strukturen sind nicht für die Ewigkeit gemacht; sie verändern sich ständig, während das Magnetfeld von den Konvektionsströmen in der Tiefe neu geformt wird. Dieses dynamische Tauziehen zwischen Plasma und Magnetfeld ist der Grund, warum die Chromosphäre so strukturiert und chaotisch wirkt. Hier wird die magnetische Persönlichkeit der Sonne zum ersten Mal wirklich sichtbar.

Was verraten uns Filamente und Plages über dieses Magnetfeld?

Das Magnetfeld selbst ist unsichtbar, aber seine Auswirkungen sind es nicht. Zwei besonders auffällige Merkmale der Chromosphäre sind Filamente und Plages, und beide sind untrennbar mit dem Magnetfeld verbunden.

  • Filamente und Protuberanzen: Schaut man sich die Chromosphäre im roten Licht des Wasserstoffs an, sieht man manchmal dunkle Fäden, die sich über die Sonnenoberfläche schlängeln. Das sind Filamente. Sie wirken dunkel, weil sie aus kühlerem, dichterem Plasma bestehen. Dieses Plasma wird von darüber liegenden magnetischen Bögen gegen die gewaltige Schwerkraft der Sonne in der Schwebe gehalten. Ist ein solches Filament am Rand der Sonne zu sehen, ragt es als leuchtende Schleife in den Weltraum hinaus. Dann nennt man es eine Protuberanz. Sie sind ein spektakulärer Beweis dafür, wie Magnetfelder Materie formen und stützen können.
  • Plages: Im Gegensatz zu den dunklen Filamenten sind Plages helle, leuchtende Regionen in der Chromosphäre. Der Name kommt aus dem Französischen und bedeutet „Strände“. Diese hellen Flecken tauchen immer in Gebieten mit starken, konzentrierten Magnetfeldern auf, meist in der Nähe von Sonnenflecken. Das stärkere Magnetfeld scheint die Energieübertragung in die Chromosphäre zu verbessern, was zu mehr Hitze und Dichte und damit zu einem helleren Leuchten führt.

Man kann also sagen, Filamente und Plages sind wie Wetterkarten für das solare Magnetfeld. Sie zeigen uns, wo das Feld stark ist, wo es Materie festhält und wo es zusätzliche Energie in die Atmosphäre pumpt.

Welche neuen Teleskope lüften endlich die Geheimnisse der Chromosphäre?

Die Chromosphäre zu erforschen, war lange Zeit eine gewaltige technische Hürde. Ihre geringe Helligkeit im Vergleich zur Photosphäre und die extrem feinen Strukturen, die sich in Sekundenbruchteilen verändern, verlangen nach Teleskopen von außergewöhnlicher Leistung. Zum Glück leben wir in einem goldenen Zeitalter der Sonnenbeobachtung. Eine neue Generation von Observatorien am Boden und im All gewährt uns einen beispiellosen Einblick in diese turbulente Welt.

Ganz vorne mit dabei ist das Daniel K. Inouye Solar Telescope (DKIST) auf Hawaii. Sein riesiger Vier-Meter-Spiegel macht es zum leistungsstärksten Sonnenteleskop der Welt. Es kann Strukturen auf der Sonne auflösen, die nur 20 Kilometer groß sind – das ist, als würde man von Berlin aus eine Münze in Hamburg erkennen. Diese unglaubliche Auflösung erlaubt es Wissenschaftlern, einzelne magnetische Elemente und die Wurzeln von Spikulen zu untersuchen. Im Weltraum liefern Observatorien wie das Solar Dynamics Observatory (SDO) der NASA eine lückenlose Überwachung der gesamten Sonnenscheibe in verschiedenen Wellenlängen und halten die dynamischen Veränderungen in der Chromosphäre rund um die Uhr fest.

Können Computersimulationen uns helfen, die Physik zu verstehen?

Beobachtungen allein reichen jedoch nicht aus. Viele der entscheidenden Prozesse, etwa die magnetische Rekonnexion, spielen sich auf so kleinen Skalen und in so kurzer Zeit ab, dass selbst die besten Teleskope sie nicht komplett erfassen können. An diesem Punkt kommen Supercomputer ins Spiel. Wissenschaftler entwickeln immer raffiniertere Computermodelle, die versuchen, die komplexe Physik der Chromosphäre nachzubilden.

Diese Simulationen füttern Computer mit den Grundgesetzen der Plasmaphysik und lassen sie das Verhalten des Gases unter dem Einfluss von Magnetfeldern, Strahlung und Wellen berechnen. Indem die Forscher die Ergebnisse dieser Simulationen mit den echten Beobachtungen vergleichen, können sie ihre Theorien über die Heizmechanismen und die Entstehung von Spikulen auf die Probe stellen. Es ist eine perfekte Partnerschaft: Die Teleskope liefern die realen Daten, die Simulationen schaffen ein virtuelles Labor, um die Physik dahinter zu verstehen. Gemeinsam bringen uns diese Werkzeuge der Lösung der Geheimnisse der Chromosphäre näher als je zuvor.

Warum sollten uns diese solaren Rätsel interessieren?

Die Erforschung einer dünnen, fernen Gasschicht klingt vielleicht nach einer rein akademischen Spielerei. Doch die Vorgänge in der Chromosphäre haben sehr reale und spürbare Auswirkungen, die bis zu uns auf die Erde reichen. Diese Schicht zu verstehen, ist nicht nur für die Astrophysik wichtig, sondern auch für unser tägliches Leben. Die Sonne ist kein isoliertes Objekt. Sie ist ein aktiver Stern, dessen Launen das gesamte Sonnensystem beeinflussen, und die Chromosphäre ist dabei eine entscheidende Schaltzentrale.

Sie ist das Fundament, auf dem die noch heftigeren Phänomene der Korona aufbauen. Gewaltige Energieausbrüche wie Sonneneruptionen (Flares) und koronale Massenauswürfe (CMEs) wurzeln oft in der komplexen magnetischen Struktur, die sich von der Photosphäre durch die Chromosphäre zieht. Diese Ereignisse können gigantische Wolken aus geladenen Teilchen und Strahlung ins All schleudern. Trifft eine solche Wolke die Erde, kann sie ein sogenanntes Weltraumwetter-Ereignis auslösen.

Wie beeinflusst die Chromosphäre das Weltraumwetter und damit die Erde?

Weltraumwetter ist keine ferne Abstraktion. Es kann unsere moderne, technologieabhängige Gesellschaft hart treffen. Die energiereichen Teilchen eines Sonnensturms können Satelliten in der Umlaufbahn lahmlegen, die wir für Kommunikation, GPS-Navigation und Wettervorhersagen brauchen. Für Astronauten im All können sie sogar lebensgefährlich sein.

Hier unten auf der Erde können diese Stürme starke Ströme in Stromnetzen auslösen und im schlimmsten Fall zu großflächigen Blackouts führen. Auch der Flugverkehr, vor allem auf Routen über die Pole, kann beeinträchtigt werden. Die schöne Seite des Weltraumwetters sind die Polarlichter (Auroras), die am Himmel tanzen, wenn die solaren Teilchen auf unsere Atmosphäre treffen. Indem wir die Chromosphäre besser verstehen – die Schicht, in der viele dieser Stürme geboren werden –, können wir die Vorhersage des Weltraumwetters verbessern. Das gibt uns die Chance, unsere kritische Infrastruktur zu schützen und uns auf die Launen der Sonne vorzubereiten.

Was lehrt uns die Sonne über andere Sterne im Universum?

Unsere Sonne ist etwas Besonderes: Sie ist der einzige Stern, den wir aus nächster Nähe untersuchen können. Jeder andere Stern am Himmel bleibt nur ein winziger Lichtpunkt. Die Sonne ist deshalb unser kosmisches Labor, in dem wir physikalische Prozesse studieren können, die im ganzen Universum stattfinden. Die Rätsel der Chromosphäre – das Heizproblem oder die Rolle der Magnetfelder – sind nicht exklusiv für unsere Sonne.

Die meisten Sterne haben ähnliche atmosphärische Schichten, und es ist fast sicher, dass dort ganz ähnliche Prozesse ablaufen. Wenn wir die Physik der Chromosphäre unserer Sonne knacken, lernen wir etwas Grundlegendes über die Funktionsweise von Sternatmosphären im Allgemeinen. Dieses Wissen hilft uns, die Daten von fernen Sternen zu deuten und besser zu verstehen, wie Sterne altern, wie sie ihre Umgebung formen und wie sie die Bedingungen für Planeten und vielleicht sogar für Leben schaffen. Die Geheimnisse, die in der dünnen, roten Schicht unserer Sonne schlummern, sind also ein universeller Schlüssel zum Verständnis unzähliger anderer Welten.

Häufig gestellte Fragen – Geheimnisse der Chromosphäre

Feurige Gasjets Spikulen die die dynamischen Geheimnisse der Chromosphäre zeigen

Wie helfen moderne Teleskope und Simulationen beim Verständnis der Chromosphäre?

Moderne Sonnenteleskope wie das DKIST erlauben die Beobachtung kleinster Strukturen in der Chromosphäre, während computergestützte Simulationen die komplexen physikalischen Prozesse nachbilden. Gemeinsam tragen sie dazu bei, die Mechanismen hinter dem Temperaturparadoxon und der Dynamik dieser Schicht besser zu verstehen.

Was sind Spikolen und welche Rolle spielen sie in der Sonnenatmosphäre?

Spikolen sind riesige, jet-artige Gasfontänen, die innerhalb der Chromosphäre entstehen und bis zu 10.000 Kilometer hoch aufschießen. Sie transportieren Energie und Materie in die noch heißere Korona und gelten als bedeutende Elemente im Energiehaushalt der Sonne, deren genaue Bedeutung noch Gegenstand intensiver Forschung ist.

Welche Bedeutung haben Magnetfelder für die Struktur und Hitze der Chromosphäre?

Magnetfelder spielen eine entscheidende Rolle bei der Formung der Chromosphäre. Sie kontrollieren die Bewegung des Plasmas, beeinflussen die Entstehung von Spikulen und Filamenten und sind wahrscheinlich für die Heizmechanismen verantwortlich, beispielsweise durch magnetische Rekonnexionen, bei denen gespeicherte Magnetenergie in Wärme umgewandelt wird.

Warum ist die Temperatur in der Chromosphäre so viel höher als an der Sonnenoberfläche?

Die ungewöhnlich hohe Temperatur in der Chromosphäre, die mit bis zu 20.000 Grad Celsius oder mehr angegeben wird, trotz ihrer größeren Entfernung vom Sonnenkern, ist ein zentrales Rätsel. Es wird angenommen, dass magnetische Kräfte und Wellenmechanismen die Energie in diese Schicht pumpen, was bislang jedoch noch nicht vollständig erklärt ist.

Was ist die Chromosphäre der Sonne und warum ist sie so rätselhaft?

Die Chromosphäre ist eine dünne, rotscheinende Schicht oberhalb der Sonnenoberfläche, die trotz ihrer geringen Dicke eine enorme Temperatur aufweist und zahlreiche komplexe Phänomene beherbergt. Sie ist faszinierend, weil sie die Energiequelle für viele der dynamischen Prozesse in der Sonnenatmosphäre darstellt und noch viele ungelöste Fragen aufwirft.

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Jurica Sinko
Angetrieben von einer lebenslangen Faszination für die Sterne, wurde eine neue Idee geboren: die größten Fragen des Universums zu erforschen. In einer Welt, die oft vom Alltäglichen bestimmt wird, ist diese Webseite eine Einladung, den Blick wieder nach oben zu richten. Es ist ein Ort, um die Wunder des Kosmos gemeinsam zu entdecken und die Wissenschaft dahinter zu verstehen.

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